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Horror-Flug mit glücklichem Ausgang

von Danny Hildebrand

12. Juni 1977
Start mit Cessna 172 – D-ECNY um 11:48 Uhr von Hamburg-Fuhlsbüttel nach Würzburg.
Mein Copilot ist Verleger Willy Paulsen (Name geändert) aus Hamburg. Geplantes Endziel der Reise ist Sizilien, wo Willy ein Haus besitzt. Ich habe zu dem Zeitpunkt 202 Flugstunden, Willy, der 17 Jahre älter ist als ich, etliche Hundert mehr.

Willy macht den Funk – ich fliege. Um 15:12 Uhr landen wir in Würzburg, um zu tanken. Wir trinken noch einen Kaffee und starten um 15:50 Uhr weiter in Richtung Süden. In Augsburg soll Schluss sein für heute, und sanft setzt die Maschine um 17:09 Uhr dort auf. Ein Taxi bringt uns zu einer Pension, in der wir nach einem Restaurantbesuch übernachten.

Morgens erfahren wir auf dem Flugplatz vom Wetterdienst, dass eine Alpenüberquerung heute und in den nächsten Tagen wegen einer zu dicht hängenden Wolkendecke nicht möglich ist und stellen Überlegungen an, nach Hamburg zurück zu fliegen. Meine Zweifel am Gelingen dieser Aktion wegen des aktuell schlechten Wetters räumt Willy, der schon sehr viel länger als ich auf diversen Flugzeugmustern unterwegs war, aus und zeigt in den Himmel: „siehst du das blaue Loch da? Da gehen wir durch und fliegen dann gemütlich >on Top< nach Norden, denn dort soll das Wetter besser sein. Danach können wir wieder abtauchen“. Hier spricht ein Profi, so empfinde ich es jedenfalls.

Während des Starts auf der Bahn 07 um 9:33 Uhr beginnt es bereits zu regnen. Willy macht abermals den Funk – ich fliege. Den Funkverkehr hat er bisher perfekt gemacht und er wird schon wissen was er tut, denke ich zu diesem Zeitpunkt noch….

Das blaue Loch ist inzwischen ein Löchlein geworden. Ich versuche trotzdem es als „Fahrstuhl“ nach oben zu benutzen, was jedoch nicht gelingt: von einer Sekunde auf die andere bin ich von Wolken und null Sicht umgeben. Das Ganze spielt sich in einer Höhe von 2.500 und 6.000 Fuß ab. Jetzt gilt es die Maschine über die Instrumentierung zu fliegen, während Willy Funkkontakt mit ATC Frankfurt (Air Traffic Control) aufnimmt. Dass wir in den Wolken stecken, meldet er vorsichtshalber nicht, denn ich habe weder IFR noch sonst eine Berechtigung unter IMC-Bedingungen (Instrument Meteorological Conditions) zu fliegen. Aber jetzt und hier geht es nur noch ums Überleben und sonst nichts. Mit regelmäßig gezogener Vergaser-Vorwärmung (gegen Vergaservereisung), künstlichem Horizont, Fahrtmesser, Kompass, Variometer, Wendezeiger und Höhenmesser ziehe ich die Maschine mit konstant 80 kt. nach oben.

Panel einer Chessna 172

Regen prasselt mit hässlichem Geräusch an die Frontscheibe. Die Sicht ist so herabgesetzt, dass ich kaum noch das äußere Ende der Tragflächen erkennen kann. Bei etwa 6000 Fuß wird es plötzlich hell und schon sind wir wolkenfrei – so zu sagen On Top! Aber was sehe ich? Ringsherum kompakte Gewittertürme, die so weit in den Himmel ragen, dass ein Darüberfliegen mit diesem Flugzeug unmöglich ist. Wir sitzen in der Falle. Wo bitte hast Du mich hingebracht, Willy?

Das Beste ist zu versuchen, nun unterhalb der Wolkendecke zu bleiben und irgendwie nach Norden durchzukommen. Willy ist still und widerspricht nicht. Auf die vernünftigste Idee umzudrehen und da hinzufliegen, wo wir gestartet sind, komme ich gar nicht – habe doch immer noch Willys bestimmende Worte im Ohr, die vor dem Start in Augsburg Programm waren.

Also wieder ab nach unten! Weiterhin Kurs Nord, Vergaser-Vorwärmung ganz gezogen und Leistung halbiert, damit der Motor im Sinkflug nicht zu sehr auskühlt. Im Nu sind wir wieder im Regen und mit null Sicht in den Wolken versunken. Ich kratze alles zusammen, was ich in den letzten Monaten von meinem Fluglehrer Klaus Garbusinski in freiwilligen IFR-Stunden (Instrument Flight Rules) gelernt hatte und die Maschine nun damit erneut fest im Griff habe. Willy macht weiterhin den Funk und lässt sich bei ATC Frankfurt nicht anmerken, dass wir keinerlei Bodensicht mehr haben. Bei 2500 Fuß komme ich aus den Wolken heraus und erkenne Terrain unter mir. Die Sicht ist durch den Regenschleier katastrophal. Weit vor uns müssen die Höhenzüge der Rhön liegen, und ich erkenne auf der Karte, dass deren höchstes Massiv, nämlich die Wasserkuppe, erschreckenderweise auf etwa 3000 Fuß liegt und vermutlich bereits in Wolken eingetaucht ist. Das geht schief, schießt es mir durch den Kopf, und ich sage zu Willy: „es ist zu riskant, wir gehen wieder rauf und versuchen irgendwie um die Gewittertürme herumzukommen“. Willy bleibt stumm. Ich nehme alle meine Sinne zusammen und beginne erneut den Climb unter IMC-Bedingungen. Oben angekommen gelingt es mir mit viel Glück und ohne große Turbulenzeinwirkungen, die Gewittertürme Stück für Stück zu umfliegen.

Um 11:38 Uhr setzt die Maschine bei schönstem Sonnenschein in Kassel Calden auf, als wäre nichts geschehen. Es ist höchste Zeit nachzutanken. Noch während ich dabei bin den Taxiway abzuspulen, sagt Willy einen Satz, den ich nie in meinem Leben vergessen habe: „Mensch Danny, du bist ein begnadeter Flieger – das hätte ich nicht gekonnt!“ „Wie, was meinst Du damit“, frage ich entsetzt. „Ja, ich hätte das nicht gekonnt, was du da in den Wolken vollbracht hast“, ist seine Antwort.

Ich bin völlig perplex, denn wenn einer mehrfach im Jahr die Alpen überquert, um nach Sizilien zu gelangen, dann muss er doch ’ne ganze Nummer besser sein als ich, geht es mir durch den Kopf. Ich teile Willy meine Gedanken mit und frage ihn „wie hast du das denn all die vergangenen Jahre geschafft“? Seine Antwort haute mich völlig um: „mit Autopilot, ich chartere nur Maschinen mit Autopilot“. Nun muss man wissen, dass Autopiloten in kleinen Maschinen in der Regel nur sogenannte Wing Leveler sind, also keine Höhenkontrolle ausüben, sondern lediglich die Tragflächen in der Waagerechten halten – alles fliegerische Können aber trotzdem dem Piloten abverlangt wird.

Willy ist noch stiller geworden. Ich übernehme den Funk ab hier nun selbst. Um 12:05 Uhr hebt unsere Cessna von Kassel ab, um schließlich um 13:40 Uhr wieder in Fuhlsbüttel zu landen.

Freunde und meine Frau sitzen zu dieser Zeit in der Gartengastronomie Borchers am Mittelweg, und als ich ihnen erzähle was ich heute erlebt und nur deshalb überlebt habe, weil ich in der Vergangenheit diverse Blindflugstunden auf freiwilliger Basis hinter mich gebracht hatte, wird freundlich gelächelt, weil natürlich niemand von ihnen weiß, wie schwierig es ist ein Flugzeug mit drei Achsen (Hoch-, Quer- und Längsachse) bei null Sicht und nur mit Instrumenten im Gleichgewicht und auf Kurs zu halten. Das will gelernt sein und erfordert etliche Übungsstunden, denn nur mit dem menschlichen Gleichgewichtssinn funktioniert das nicht.

Fazit für meine noch verbliebenen Fliegerjahre: Ich setzte niemals wieder einen anderen Privatpiloten auf den Co-Sitz.

Epilog
Fast 3 Jahre später, am 21. April 1980, flog Willy nach einem viertägigen Sizilien-Aufenthalt mit einer Piper PA 32 R300 und 3 Fluggästen, wovon einer der Eigner der Maschine aus Reit im Winkel und wie Willy ebenso nur ein PPL-A-Pilot war, von Catania aus nach München. Bei den weiteren Personen handelt es sich um einen Geschäftsmann aus München und einen Fotografen aus Hamburg.

Auf Sizilien hatte man laut Aussage von Freunden über einen Deal „Gelegentliche Nutzung des Flugzeugs gegen gelegentliche Nutzung eines sich im Besitz von Willy sich dort befindlichen Ferienhauses“ verhandelt, was erklärt, dass Willy auf diesem Rückflug auch auf dem verantwortlichen Pilotensitz links gesessen haben kann.

Schon wenige Minuten nach dem Start soll es einen Funkausfall gegeben haben. Fortan galt das Flugzeug als verschollen und auch der kurz vor München stattgefundene Absturz an dem 2.200 Meter hohen Bergmassiv Guffert, welches nordöstlich des Achensees liegt, blieb unbemerkt. Alle späteren Suchaktionen von Süditalien bis in die deutschen Alpen blieben über Tage hin erfolglos. Warum die Piloten den Flug auf Grund des Funkausfalls nicht abbrachen, bleibt deren Geheimnis.

Wie man später feststellte, löste der Absturz eine mächtige Schneelawine aus, was erklärte, dass erst am 28. Mai, also nach der sommerlichen Schneeschmelze, diverse Einzelteile des Flugzeugs, Gepäckstücke und schließlich die 4 Toten von Bergsteigern und Wanderern entdeckt wurden.

Die Absturzursache und wer von den beiden Piloten als PIC (pilot in command) flog, konnte nie geklärt werden. Besagter Flugzeugtyp kann von beiden Vordersitzen aus geflogen werden. Es könnte eine tödliche Tragflächenvereisung oder auch das Naheliegendste, ein Orientierungsverlust durch Nullsicht in den Wolken für den Absturz verantwortlich gewesen sein. Laut Wetterrecherchen gab es am 21. April 1980 in den nördlichen Alpen eine geschlossene Wolkendecke mit Schneefall. Kraftstoffmangel, der eine Weile auch zur Debatte stand, scheidet aus, denn das Flugzeug wurde vor dem Abflug nachweislich in Cartania vollgetankt. Die Reichweite einer PA 32 R300 beträgt 1.600 Kilometer. Die Strecke Cartania > Flughafen München beträgt 1.240 Kilometer.

Es ist jedoch vorstellbar, dass es eine ähnliche Spannungslage zwischen den beiden Piloten gegeben hat, wie auf meinem oben geschilderten Flug Augsburg-Hamburg. Beide Piloten hatten keine IFR-Ausbildung (instrument flight rules) und somit vermutlich auch nicht das Können in einem metereologischen Ernstfall unter IMC-Bedingungen (instrument meteorological condtions) zu fliegen. Nach meinem Dafürhalten scheinen sie die Orientierung in den Wolken verloren zu haben, denn bei guter Sicht hätte man das herausragende Bergmassiv des Guffert gut erkennen und daher bequem über- oder umfliegen können.
Gott hab sie selig………

Fliegermagazin 1983
Artikel erschienen im Flieger-Magazin 1983

Abgesehen von vier gemeisterten Notlandungen wegen technischer Mängel (Vergaser defekt 1975 bei Husum, Zylinderkopfriss 1975 bei Wangerooge, Propellerabriss 1983 bei Tannheim, Motorstillstand 1985 bei Pöl/Dänemark), erlebte ich zwanzig unfallfreie und wunderbare Fliegerjahre. Alles nachzuverfolgen in meinem amtlichen >Flugbuch für Motorflieger<.

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Hier eines der unzähligen Beispiele, wie es auch hätte kommen können:

FLUGUNFALLUNTERSUCHUNGSSTELLE BEIM LUFTFAHRT-BUNDESAMT

Postfach 30 54, D-38020 Braunschweig, Tel. 05 31/23 55 – 0
V 32

Braunschweig, September 1984
„Vielleicht geht es doch gut“ – Einflug in IMC

Geplant war ein VFR-Flug von der Mosel nach Schleswig-Holstein. Der Pilot holte eine fernmündliche Wetterberatung ein.

Die Wetterverhältnisse entlang der Flugstrecke wurden als schwierig bis kritisch bezeichnet, im Bergland zum Teil als geschlossen. Für einen Sichtflug zumindest kein schönes Wetter. Und trotzdem, der Pilot trat den Flug an mit zwei Passagieren an Bord. Einem Start stand nichts entgegen, denn die Sichtflugmindestbedingungen am Startort waren erfüllt. Die Flugleitung jedoch war besorgt und bat, auf der Frequenz zu bleiben bis ein Weiterflug sicher gestellt sei. Etwa 10 Minuten nach dem Start meldete sich der Flugzeugführer, er fliege in 3 500 ft über Grund und habe Bodensicht. Kurz darauf, er habe 4 500 ft erreicht, noch Bodensicht, aber keinen Horizont mehr. Kurze Zeit darauf ereignete sich der Unfall, bei dem alle drei Insassen getötet wurden. Zeugen berichteten, das Flugzeug wäre mit aufheulendem Motor aus den Wolken gefallen, die den Himmel in ca. 3 000 ft vollständig bedeckten. Der rechte Tragflügel war abgerissen, während der unkontrollierten Bewegung des beschädigtenFlugzeuges riss auch die linke Tragfläche ab.

Wie der 10-minütige Flug an Bord ausgesehen haben mag, lässt sich nur vermuten: Der Start in VMC verleitet zur Annahme, dass alles vielleicht gar nicht so schlecht sei, man könne ja noch umkehren. Der Dunst nahm zu, wegen des Berglandeswurde auf ausreichende Flughöhe geachtet, Bodensicht war ja noch vorhanden. Die ersten Alarmzeichen der Sichtverschlechterung – schwindender Horizont – wurden nicht beachtet, der Boden war ja immer noch zu sehen. Aber die Sicht zum Boden senkrecht nach unten als einziger Fluglagebezug ist denkbar schlecht geeignet. Doch plötzlich war auch Referenz verschwunden.
Obwohl das Flugzeug fast IFR-mäßig ausgerüstet war, gelang es dem Piloten nicht, es nach den Instrumenten unter Kontrolle zu halten. Vermutlich führten heftige Steuerbewegungen bei hoher Geschwindigkeit im unkontrollierten Sinkflug zu einer Überlastung der Struktur.

Schlechtwetterunfälle wiederholen sich mit großer Regelmäßigkeit. Es kann gar nicht eindringlich genug gewarnt werden, Wettererscheinungen und Wettervorhersagen ernst zunehmen. Auch wenn früher eine Vorhersage einmal nicht so ganz war, wie die angetroffene Situation, sollte das nicht dazu verleiten, das Einholen der Wetterinformation nur als Pflichtübung zu betrachten!