Bericht des Kinette-Kapitäns Christian Huber über seine Fahrt durch Brandenburg und Mecklenburg
Havelländische Fluss- und Seenlandschaft, Mecklenburgische Klein- und Gross-Seenplatte; 44 Kilometer, 5 Schleusen
Himmelpfort – Priepert – Mirow
Verwendete Unterlagen:
Digitale Version von: Mecklenburgische Seenplatte, Binnenkarten Atlas 2, Verlag Kartenwerft, Flensburg 2013; Robert Tremmel: Mecklenburg, Brandenburg, Hafenführer für Hausboote, Berlin 2014
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Wir haben Sie am Ende des letzten Berichts an einem Sonnenuntergang über dem Stolpsee in Himmelpfort teilhaben lassen und wollen Ihnen die Fortsetzung nicht vorenthalten.
Himmelpfort verfügt über ein Weihnachtspostamt, welchem in der Weihnachtszeit Tausende von deutschen Kindern ihre Wunschzettel schicken. Der Samichlaus – hier ist er der Weihnachtsmann – ist denn auch omnipräsent in Himmelpfort. Der Ort verdankt seinen Namen nach der Legende dem Zisterziensermönch Otto. Dieser soll Ende des 13. Jahrhunderts, als er beruflich – zwecks Klostergründung – nach Himmelpfort kam, von der Schönheit des Ortes überwältigt, ausgerufen haben: «Coeli porta!», also «des Himmels Pforte». Se non è vero è ben trovato – ist es nicht wahr, so ist es doch eine schöne Geschichte.
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Wenn Himmelspfort nahe am Paradies ist, so war das benachbarte Fürstenberg nahe an der Hölle, nämlich beim Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Um das Mass voll zu machen, befand sich auf halbem Weg zwischen Himmelpfort und Ravensbrück das Mädchenkonzentrationslager Uckermark, das 1942 unter dem verharmlosenden Namen «Jugendschutzlager» errichtet wurde.
Ein russisches Sturmgeschütz erinnert an die «glorreichen Offiziere und Soldaten der Roten Armee», welche Ravensbrück am 30. April 1945 befreiten. Dass die Sowjets Ravensbrück und andere Konzentrationslager als «Speziallager» nicht nur für Nationalsozialisten, sondern auch für andere politisch oder sonstwie missliebige Personen nahtlos «nachnutzten», war in der DDR ein Tabuthema. Übrigens sprach man in der DDR (und heute noch in der heutigen Linken, auch in der Schweiz) nie von «Nationalsozialisten» – man will ja nicht daran erinnert werden, dass das auch Sozialisten waren – sondern nur von «Faschisten». Konsequenterweise findet man in vielen Orten der alten DDR noch eine «Strasse der Opfer des Faschismus». Opfer des Sozialismus (und der Stasi) scheint es nicht gegeben zu haben. Da sind wir doch froh.
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Seit Berlin befinden wir uns also wieder auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Obwohl seit der Wende dank Transferzahlungen, viel Eigeninitiative und Unternehmertum enorm viel entwickelt, aufgebaut und erneuert wurde, sind die Zeugnisse der Auswirkungen des einstmals real existierenden Sozialismus noch immer nicht zu übersehen.
Die zerfallenden Häuser erinnern uns übrigens sehr an das heutige Frankreich abseits der grossen Städte und an Wallonien. Mit dem Unterschied, dass hier zerfallene Dörfer schmuck restauriert werden, während in Frankreich einstmals schmucke Dörfer zerfallen.
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Die Fahrt von Himmelpfort nach Priepert ist nur zwanzig Kilometer lang und dauert viereinviertel Stunden. Sie führt uns vom Stolpsee auf der Siggelhavel zum Schwedtsee, zum Baalensee, dann durch die Schleuse Fürstenberg in den Röblinsee, auf der Steinhavel mit der gleichnamigen Schleuse weiter zum Menowsee, Ziernsee und schliesslich Ellbogensee nach Priepert. Die meisten dieser Seen sind von Wald umrandet und mit Schilf gesäumt, die Ufer sind praktisch nicht besiedelt.
Die Schleusen sind hier (noch) bedient und, was wir in Frankreich oft schmerzlich vermisst haben, mit grosszügig angelegten Wartestellen ausgestattet. In der Hochsaison dürfte das nötig sein, denn die Schleusen sind mit 42 Metern Länge und 5.30 Metern Breite nicht übermässig gross.
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In Priepert machen wir die Bekanntschaft des Hamburgers Danny Hildebrand, der mit seiner historischen Schleppbarkasse «Suhr & Cons. 2» allein unterwegs ist. Danny sieht nicht nur aus wie der Grossvater aus der Werbung, er ist der Grossvater aus der Werbung (www.bei-hildebrands.de).
Der Schiffsdiesel der Schleppbarkasse ist noch der originale Motor aus den dreissiger Jahren des letzten Jahrhunderts, ein langsam drehender (450 U/min auf der Welle) Dreizylinder «Jastram» mit offenen Kipphebeln – eine Augenweide für jeden Dieselmotorenfreak.
Einem Schiffsdiesel des gleichen Herstellers werden wir übrigens in Plau am See begegnen, wo er als Blickfang vor dem Restaurant «Fischerhafen» steht.
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Mit der Fahrt von Himmelpfort nach Priepert haben wir das Bundesland Brandenburg verlassen und befinden uns nun in Mecklenburg-Vorpommern (das hier mit einem langen «e» ausgesprochen wird, also «Meecklenburg»). Diese Landschaft hat einen überwältigenden verträumt-melancholischen Reiz, dem man sich nicht entziehen kann.
Seit jeher hat dieses Land von Wald- und Forstwirtschaft sowie von Fischerei gelebt. Industrie gab es und gibt es praktisch nicht, es ist mit 74 Einwohnern auf einen Quadratkilometer das am dünnsten besiedelte Bundesland Deutschlands, Tendenz weiterhin abnehmend.
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In Priepert ist das Kirchlein sowohl von aussen wie von innen sehenswert.
Diese Dorfkirche beherbergt als Rarität ein dreimanualiges Harmonium der Leipziger Firma Hörügel (1894–1952), von welchem insgesamt nur etwa 50 Instrumente hergestellt wurden.
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Unsere Fahrt von Priepert nach Mirow führt uns weiterhin über die Mecklenburger Kleinseenplatte, was sich in der Anzahl der auf dieser vierundzwanzig Kilometer langen Strecke überquerten Seen niederschlägt: Zuerst Ellbogensee, darauf Pällitzsee, Canower See, dann Labussee, Grosser Petschsee (der aber klein ist…), Vilzsee, Mössensee, Zotzensee und schliesslich Mirower See. Dabei passieren wir die selbstbedienten Schleusen Strasen, Canow und Diemitz, allesamt relativ zügig, weil Vorsaison.
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Mirow war eine Nebenresidenz der an sich unbedeutenden Herzöge von Mecklenburg-Strelitz, die nur deswegen auf der Weltbühne in Erscheinung traten, weil drei Töchter aus dem Hause Mecklenburg-Strelitz, eine schöner als die andere, beruflich als Königinnen Karriere machten: Sophie Charlotte wurde Königin von England, Luise Königin von Preussen und Friederike Königin von Hannover.
Das Schloss wurde nach zwanzigjähriger Bauzeit neu eröffnet und freundlicherweise wartete die mecklenburgische Regierung mit dem Einweihungsakt, bis wir in Mirow einliefen. Die mecklenburgische Staatskapelle spielte, nach der üblichen Eröffnungsansprache der mecklenburgisch-vorpommerschen Finanzministerin, bei herrlich warmem Sommerabendwetter im Schlosspark aus ihrem Repertoire von Christoph Willibald Gluck bis zur modernen Filmmusik.
Das Schloss steht nicht allein, es gehört zu einem Gebäude-Ensemble aus dem frühen 17. Jahrhundert, bestehend aus Kavalierhaus, Johanniterkirche, Torhaus und eben Schloss. Heute befindet sich im ehemaligen Kavalierhaus ein Museum, das die Zeit von Glanz und Gloria des Grossherzogtums Mecklenburg-Strelitz wiederaufleben lässt. Aber nicht nur Glanz und Gloria, sondern auch Elend, denn aus keinem Bundesland wanderten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts so viele Menschen nach Amerika aus wie aus Mecklenburg-Vorpommern – jeder sechste Einwohner.
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Das permanente zivilisatorische Hintergrundrauschen, das man aus der Schweiz, aus den alten Bundesländern und aus den Niederlanden kennt, gibt es hier schlicht nicht. Nachts herrscht, abgesehen von leisem Wellenplätschern, völlige Ruhe. Das allgegenwärtige Element ist das Wasser, die Mecklenburgische Seenplatte ist das grösste zusammenhängende Wasserrevier Europas.
Viele kleine Seen und Flüsse können oder dürfen mit Motorbooten nicht befahren werden – für Kanuwanderer ein wahres Eldorado.
Leider ist dieses Verbot in den Seen nördlich von Mirow ziemlich illusorisch, weil derart viele Ausnahmebewilligungen erteilt werden, dass auf diesen schilfbestandenen kleinen Seen reger Verkehr herrscht. Nur die Wasserschutzpolizei scheint sich an das Motorbootverbot zu halten. Wir haben die sonst omnipräsenten Ordnungshüter in den drei Tagen, da wir dort mit dem Kajak unterwegs waren, jedenfalls nicht gesehen.
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An Sonnenuntergängen und Abendrot-Stimmungen kann man sich in Mecklenburg-Vorpommern, wenn man in einem Hafen an der Wasserkante liegt, die Finger wund fotografieren. Ein besonders imposantes Abendrot erlebten wir in Mirow, allerdings als Vorbote eines Unwetters mit Starkregen, Hagel, Blitz, Donner und Windböen über 100 km/h.
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Aus dem Logbuch
- Himmelpfort. Stolpsee-Bootshaus, geführt von Thomas und Simone Weinreich. Gepflegter Hafen. Strom (16 Amp), Wasser, Duschen, WC. Kostenpflichtig. Direkt neben dem Hafen gutes Fischrestaurant. Sonst auch gut: Restaurant-Café «An der Schleuse». Einkaufsmöglichkeiten «Bei Uwe». Nicht verpassen: «Das Lädchen» an der Fürstenberger Strasse 6. Hausgemachte, deliziöse Konfitüren, daneben die üblichen Lebensmittel. Sehenswürdigkeiten: Klosterruine und Weihnachtsmannstube.
- Priepert. Yachthafen Priepert. Strom (16 Amp), Wasser, WC, Duschen. Kostenpflichtig. Bootstankstelle. Hafenmeisterkiosk. Das Essen im Restaurant im Hafen ist nächstes Mal bestimmt besser. Sehenswürdigkeit: Dorfkirche .
- Mirow. Bootsservice Rick an der Schlossinsel. Idyllisch gelegener, kleiner Hafen. Strom (16 Amp), Wasser, WC, Duschen, Waschmaschine, Trockner. Kostenpflichtig. Hafenmeister Ole betreibt einen kleinen Shop mit Bootszubehör, Karten und Reiseführern, Lebensmitteln, Imbiss. Alle Einkaufsmöglichkeiten im Dorf (EDEKA, Aldi, Lidl, Penny). Zahnarzt, Apotheke, Postfiliale im «Viele kleine Dinge». VR-Bank, Sparkasse. Bahnhof (Züge nach Berlin und Waren). Gastronomie: «Blaue Maus». Von einem Fliegerass des I. Weltkriegs nach seinem Jagdflugzeug benanntes Restaurant. Wild aus eigener Jagd sowie Fischspezialitäten. Sehenswürdigkeiten: Das Museum im 3 Königinnen Palais. Modernes und gepflegtes Museum. Für Kinder Audioguide.